4. Oktober 2012

Marie Antoinette in der Conciergerie II.



Die Königin legte ihre Nachthaube ab, setzte sich auf einen Stuhl und sagt in liebenswürdigen Ton: „Rosalie, sie werden mir heute den Chignon* frisieren.“
Als der Hausmeister diese Worte hörte, eilte er herbei, bemächtigte sich des Kamms und sagt sehr laut, in dem er mich zurück stieß: „Lassen Sie, lassen Sie, das ist meine Sache!“ Erstaunt und mit einer unbeschreiblich hoheitsvollen Miene betrachtete die Köngin Lebeau. „Ich danke sehr“, sagte sie, stand auf, rollte ihr Haar selbst ein und setzte die Haube auf.
Ihre Haartracht war, seitdem sie sich in der Conciergerie befand, äußerst einfach; sie teilte das Haar über der Stirn, nachdem sie etwas wohlriechendes Puder darauf gestäubt hatte.
Madame Harel hatte ihr mit einem etwa ellenlagen weißen Band das Haar am Ende zusammengebunden, machte dann einen kräftigen Knoten und gab die beiden Enden des Bandes Madame, die sie selber kreuzte und auf dem Kopf befestigte und so ihrem (blonden und nicht roten) Haar die Form eines beweglichen Chignon gab.
An dem Tag, da sie dem Hausmeister Lebeau dankte und sich entschloss, von nun an ihr Haar selbst zu machen, nahm ihre Majestät, die Rolle mit dem weißen Band, die sie noch übrig hatte, vom Tisch und sagte mit trauiger und liebevoller Miene, die mir bis auf den Grund der Seele: „Rosalie, nehmen Sie dieses Band und bewahren Sie es als Andenken an mich.“ Mir kamen die Tränen, und ich dankte Madame mit einem Knicks.
Als ich auf dem Korridor war nach mir der Hausmeister das Band weg und sagte: „ Es tut mir sehr leid, daß ich die arme Frau verstimmt habe, aber meine Stellung ist so schwierig, daß ein Nichts mich zittern läßt!“
Am 2. August nachts, als die Königin aus dem Temple gekommen war, hatte ich bemerkt, daß weder Wäsche noch Kleider mitgekommen waren. Am nächsten Tag, und am folgenden verlangte, die unglückliche Königin Wäsche, und Madame Richard, die fürchtete, sich bloßzustellen, wagte nicht, ihr welche zu leihen oder zu schenken, Endlich begab sich Michonis, der in seinem Herzen ein anständiger Mensch war, zum Temple, und am zehnten Tag wurde aus dem Temple ein Paket gebracht, das die Königin rasch öffnete. Es enthielt schöne Batisthemden, Taschentücher, Halstücher, Strümpfe aus Seide oder schwarzer Flockseide, ein weißes Hauskleid für den Morgen, einige Nachthauben und mehrere Bandenden von verschiedener Breite. Madame war gerührt, als sie diese Wäsche sah, und sich zu Madame Richard und mir umwendend, sagte sie: „An der Art, wie das alles sorgfältig hergerichtet ist, erkenne ich die Aufmerksamkeit und Hand meiner armen Schwester Elisabeth."
Als ihre Majestät ins Palais kam, trug sie ihre große Trauerhaube, die Witwentracht. Eines Tages sagte sie in meiner Gegenwart zu Madame Richard.: „Madame, wenn möglich, hätte ich gern zwei Hauben statt einer, um wechseln zu können. Hätten Sie die Gefälligkeit, meine Trauertracht Ihrer Schneiderin anzuvertrauen? Ich glaube es wird genug Linon darin sein, um zwei Négligéhauben zu machen.
Madame Richard führte den Auftrag der Köngin ohne Schwierigkeiten aus, und als wir ihr die beiden neuen, ganz einfachen Hauben brachten, schien sie zufrieden; und zu mir sagt sie: „Rosalie, ich kann über nichts mehr verfügen; aber mit Vergnügen gebe ich Ihnen, liebes Kind, diese Messingeinfassung und Linonbatist, den die Schneiderin zurückgab.“
Ich verneigte mich bescheiden, um Madame zu danken; und noch immer bewahre ich diesen Linonbatist auf, den zu schenken sie mir die Ehre erwies.
Die Köngin litt unter einer großen Entbehrung. Man hatte ihr alle Arten von Nadeln verweigert, und sie liebte Beschäftigung und Arbeit sehr. Ich bemerkte, daß sie manchmal grobe Fäden aus einem Tapezierstoff zog, der längs der Mauern an Rahmen genagelt war. Aus den Fäden, die sie mit der Hand polierte, machte sie sehr glattes Schnürband, wobei das Knie als Kissen diese und einige Stecknadeln als Nadeln.

Rosalie Larmorlière, Kammerzofe der Königin in der Conciergerie

* Chinon - das Haar hoch gesteckt tragen.