28. September 2008

So sah man Marie Antoinette




Marie Antoinette war in der Tat reizend und die Porträts, die um diese Zeit die Schriftsteller von ihr entwarfen, machen den Eindruck gar wohl erklärlich, den diese junge und frische Erscheinung auf den alten König Louis XV. hervorbrachte, der nicht gewohnt war , so viel Anmut und Züchtigung verbunden zu sehen.
„Die Dauphine“, sagte ein Chronist, „war sehr hübsch und ebenmäßig gebaut.“ Ihr zarter, schlanker Wuchs besaß sowohl die Geschmeidigkeit eines Mädchens als die Würde einer Frau. Ihre Züge hatten vielleicht nicht mathematische Regelmäßigkeit, sie waren eher hübsch als schön; das Oval ihres Gesichtes war etwas in die Länge gezogen; ihre Lippen, namentlich die untere, besaßen jenen den Habsburgern charakteristischen (?) Anflug von Dicke. Doch ihr Mund war klein und schön gewölbt, ihre Arme prächtig, ihre Hände tadellos, ihre Füße reizend, ihre Adlernase fein und hübsch.
Ich aschblondes, ganz eigentümlich nuanciertes Haar krönte eine Stirne von wunderbarer Reinheit. Ihre Augen blau, ohne langweilig, sanft, ohne schmachtend zu sein, überragt von für eine Blondine ziemlich dichten Brauen, bewegten sich mit geistvoller Lebhaftigkeit und schimmerten von ihrem bezauberten Lächeln.
Ihre Hautfarbe besaß einen blendenden Glanz, eine unvergleichliche Weiße, gehoben durch natürliche Färbung, die sie keiner Schattierung fähig war und die Maler zur Verzweiflung brachte. Sie war nicht schön, sagte eine Zeitgenossin, sie war mehr als schön.
Ihr Gang besaß sowohl die imponierende Haltung der Prinzessinnen ihres Hauses als französische Grazie. Alle ihre Bewegungen hatten das Gepräge der Geschmeidigkeit und Eleganz; sie ging nicht, sie glitt dahin. Wenn sie über die Gänge des Schlosses schritt, so verlieh ihr der von einem schönen griechischen Hals getragene Kopf, den sie in ganz eigener, allerliebsten Weise zu wiegen pflegte und etwas stolzer erhob, wenn sie sich alleine glaubte, soviel Majestät, dass man meinte, eine Göttin unter ihren Nymphen zu sehen.
„Sieht man sie auch im einfachsten Gewand, “ schrieb über sie ein Reisender, „es wäre leicht zu erraten, dass sie für den Thron geboren ist.“
Und ein berühmte Engländer, Horace Walpole, rief bei ihrem Anblicke aus „Das ist die personifizierte Grazie!“



Mémoires secrets pour servir à l´histoire de la République des lettres, 23. Mai 1770
Mémoires de Mme Campan p. 72.
Souvenirs de Mme Vigée Le Brun, I, 45.