25. Mai 2008

Marie Antoinette - der unbekannte Roman von Hans Freimark

Heute würdigen wir Hans Freimark, einen zu unrecht vergessenen Schriftsteller und Verleger, der einen wirklich bemerkenswerten Roman über Marie Antoinette geschrieben hat.
Da von Freimark so gut wie nichts mehr im aktuellen Buchhandel zu finden ist, möchte ich ihn hier in diesen Blog näher vorstellen.
Ich habe seine Biographie in den Blogtitel eingefügt.
Die Brillanz seiner Darstellung des Französischen Hofes mit seinen Personen ist für mich stimmig dargestellt. Die Charaktere sind Ihrer Persönlichkeit entsprechend beschrieben und ich konnte in dem Buch, das im Jahr 1930 erschienen ist, große Übereinstimmung zur betreffende Zeitspanne nach empfinden.
Historisch betrachtet sind die Handlungen und Daten fast korrekt wiedergegeben. Das Buch ist reich an Dialogen der königlichen Familie und anderer Personen während der Zeit der Französischen Revolution, die natürlich nur fiktiv sind, da Freimark 1881 geboren wurde.
Genremäßig ist Freimark mit Gustav Meyrink vergleichbar der ein Schriftsteller der Prager Literaten um Franz Kafka war.
Freimark hat weiters eine Biographie über Katharina I. und ein Buch über die „Die anormalen Männer- und Frauengestalten in den Memoiren der Markgräfin von Bayreuth und der Sittengeschichte des 18. Jhdt“ verfasst.

Der Charlottenburger Arzt und Sexualtherapeut Dr. Magnus Hirschfeld (1868–1935) beschreibt Freimark als „Autodidakt im besten Sinne von hoher Befähigung und fast mediumistischer Intuition, auch einer der vielen, die den überheblichen Dünkel der Akademiker durch ihre Leistung schlagend widerlegen“.

Nachstehend findet ihr einige ausgesuchte Leseproben:


Das Spiel war aus, die Königin allein mit ihren Freunden. Sie war müde und erntete die zärtlichsten Vorwürfe der Herzogin(Polignac). Die Königin hörte sie und hörte sie nicht. Das verspürte diese. Groll begann sich in ihr zu regen, und was Scherz war, wurde Ernst. Die Vorwürfe häuften sich, sie spitzten sich zu und Zielscheibe war der deutsche Bär.(?)
Das endlich brachte Marie Antoinette zum Sprechen:
„Du sollst nicht eifersüchtig sein, Liebe. Eifersucht macht blass, und ich liebe deine Rosenfarbe. Was hast du gegen den Baron? Stört er deine Kreise?“
„Sie verwöhnen ihn“ begehrt die Kleine auf. „Nun verwöhne ich ihn, so wäscht du ihm oft genug den Kopf.“
Der Baron (Besenval) lachte. Ein lautes dröhnendes Lachen, das tief aus der Brust kam. „Sie reicht mir nicht bis zum Herzen, viel weniger bis über den Kopf.“ Er sprach langsam und gaumig wie alle Schweizer.
Yollande wollte heftig erwidern. „vertragt euch, vertragt euch“, wehrte die Königin „Schwager, helfen Sie mir. Ich liebe es nicht wenn meine Freunde sich um meine Gunst streiten.“
„Sie haben recht, teuerste Schwägerin, dies nicht zu lieben, “ die Pagengestalt des Grafen beugte sich über ihre Rechte und hob die Spitzen ihrer Finger an die Lippen, „denn die Gunst gleicht den Jahreszeiten: sie wechselt. Und nur das Beständige ist wert, festgehalten zu werden.“
„Unart!“ die schlanken Finger der Königin packten die Locken des jungen Mannes. „Sie verlästern mich. Wen ich liebe, vergesse ich nie.“
„Oh“, der Graf brachte sich mit einem raschen Sprunge aus dem Bereich ihrer kräftig zufassenden Hand, „ich beneide Sie um Ihr Gedächtnis.“
Alle lachten, und die Eintracht war wiederhergestellt.

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Ein allgemeines Gespräch setzte langsam ein, kam jedoch bald wieder ins Stocken. Der Dauphin hatte gelangweit den Schoß der Mutter verlassen und plagte Fremde mit seinen kleinen neugierigen Fragen.
Besonders hatten es ihm die Knöpfe angetan, die den Rock Barnaves zierten. Er entdeckte, dass sie Buchstaben trugen, und mühte sich, diese zu entziffern, Endlich hatte er den Satz zusammen: „Frei leben oder sterben“
„O, Mama, sieh,“ er fasste den Rock Barnaves und hielt der Königin den Knopf hin, „frei leben oder sterben.“ Er untersuchte die anderen Knöpfe. „Überall, überall: Frei leben oder sterben.“ Fragend schaute er auf seine Mutter, den Vater, die Tante, auf die Fremden.
Niemand antwortete ihm. Auch Petion und Barnave nicht. Konnten sie ihm erklären, dass sie in diesem Augenblick tief empfanden, wie sehr sie gegen diesen Wahlspruch verstießen?
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Endlich staut sich die Menge, die Wagen halten, die Tuilerien sind erreicht. Zitternd steigen die drei Garden vom Bock. Moustier wird der Hut vom Kopf geschlagen. Er stolpert. Fäuste hämmern auf ihn ein. Blutend, gestoßen, geschunden, gelangt er ins Vestibül. Lafayette lässt seine Garden Karree formieren, Malden und Valory eilen durch diese Gasse. Abgeordnete drängen sich schützend herbei und bilden Spalier. Der König verlässt den Wagen. Stille! Die Königin erscheint am Wagenschlag. Gemurmel. De Noailles (?) bietet ihr den Arm, andere Abgeordnete umringen sie, eilig wird sie fortgezogen. Madame Elisabeth und Frau von Tourzel werden von Barnave und Maubourg ins Schloss geleitet, Die letzten sind der Dauphin und seine Schwester. Duport nimmt den Kleinen auf den Arm. Klatschen begrüßt das Kind und laute Zurufe: „Es lebe die Hoffnung der Franzosen! – Die Hoffnung Frankreichs.“
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Im Parterre lagen die Zimmer der Königin, die des Königs im ersten Stock, Danton stieg die Treppe hinauf, gemächlich, jede einzelne Stufe mit Bedacht nehmend. Mit Interesse musterte er den Schmuck des Treppenhauses, die Gemälde, die aufgestellten Vasen, die reich Verzierung der Wände und der Decke; das muss man den Leuten lassen, sie verstanden , sich das Leben angenehm zu machen, Und mit einem Male begriff Danton, wie schwer es für Menschen gleich dem König und der Königin war, aus ihrer Welt herauszutreten und sich in die völlig veränderte Umstände zu schicken. ….
Mit gierigen Blicken sah er sich um: er wollte es sich bequem machen in diesen Räumen. Noch freilich hieß es warten und geduldig und geschickt die Fäden ziehen … Regent Danton klang nicht über und verlieh mehr Macht …
In diesen Gedanken verloren, hatte er gar nicht bemerkt, dass aus der Dianengalerie eine Dame herausgetreten war, die den staunenden Besucher verwundert und lächelnd beobachtete:
die Dianengalerie des Tuilerienpalastes auf einer historischen Fotographie aus dem 19. Jhdt

Es war die Prinzessin von Lamballe. Ein ekrüfarbiges Kleid hob den zarten Teint ihres Gesichtes und das Gekräusel venezianischer Spitzen, die den Ausschnitt säumten. Betonte die Weiße und Schönheit des schlanken Halses. Mit einer leichten, gleitenden Bewegung trat sie auf Danton zu: „Sie sind fremd, mein Herr?“ (!!)
Die unerwartete Anrede brachte den Advokaten etwas aus seinem Gleichgewicht. Er suchte nach einer Erklärung und fand sie nicht sofort. Die amüsierten Blicke seines Gegenübers verwirrten ihn. Er kam sich vor wie ein Wilder, der zum ersten Male einem Kultivierten begegnete (!!) Was war seine Gattin, was sogar Frau von St. Amaranthe gegen diese Erscheinung. Schlechte Kopien, nein, nicht einmal Kopie, verhunzte, sich selbst verhunzte Nachahmungen waren sie. Das leise Parfüm, das von dieser Frau ausging, wirkte gleich einem natürlichen, selbstverständlichen Duft. Bei Dame Amaranathe konnte man es schon an dem aufdringlichen Rosenparfüm erraten, ob sie in der Nähe war. …
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„Unsere Rettung ist fern!“ Die Königin dachte an die Armeen Österreichs und Preußens, die sich noch immer nicht in Bewegung gesetzt hatte, und brach in Tränen aus.
Erschüttert sah Dumouriez die Tränen der Königin, Er wagte den Schwur, nicht eher zu ruhen bis er diese Tränen getrocknet habe.
Marie Antoinette schüttelte den Kopf: „Ich halte viel von Ihnen General, dennoch werden Sie nicht mehr vermögen, als alle anderen, als ich selber.
Unser größtes Unglück ist unsere Zwiespältigkeit. Wir hängen an dem Alten, weil wir seine Vorzüge schätzen, und hassen das Neue, weil wir unter seinen Schäden leiden. Und wiederum verachten wir das Alte, weil wir seine Mängel eingesehen haben, und erkennen das Neue an, weil wir uns seinen gewissen Vorteilen für die Allgemeinheit nicht verschließen können. So stehen wir zwischen Gestern und Morgen eingeklemmt, verzehren und gleichzeitig in Hass und Liebe und wollen alles nur halb.“