7. November 2012

Beschreibung und Charakter des Dauphin- Louis Charles de Bourbon

Anweisung von Marie Antoinette,
an die Markgräfin Tourzel.

Mein Sohn wird in zwei Tagen vier Jahre und vier Monate alt; seine erster Anblick genügt. Er ist niemals krank gewesen, doch hat man an ihm schon in der Wiege eine außerordentliche Empfindlichkeit der Nerven wahrgenommen und das geringste ungewöhnliche Geräusch vermochte auf ihn eine Wirkung auszuüben. Seine ersten Zähne sind sehr spät, aber ohne den Anfall irgend einer Erkrankung durch gebrochen. Nur bei den letzten, ich glaube bei dem sechsten, hat er in Fontainebleau Krämpfe gehabt. Seither hat er noch zweimal daran gelitten zuerst im Winter 87 auf 88 und dann, als er geimpft wurde., doch dieses letzten mal nur in sehr leichtem Grade. Infolge seiner zarten Nerven erschrickt er bei dem ersten besten ungewohnten Geräusch. So fürchtet er sich zum Beispiel vor Hunden, weil er ihr Gebell nahe seinem Ohre gehört hat. Ich habe ihn niemals in ihre Nähe gezwungen, denn ich glaube, daß seine Furcht mit der Entwicklung seines Verstandes von selbst schwinden wird. Wie alle kräftigen gesunden Kinder ist er kopflos, leichtfertig und jähzornig, doch ist er dabei ein guter Junge und wenn ihn sein Leichtsinn nicht mit fortreißt, sogar von hingebender Zärtlichkeit. Und dann ist seine Eigenliebe außerordentlich entwickelt; bei richtiger Erziehung kann sie sich aber für ihn zum guten wenden. Solange er mit jemand sich nicht recht verträgt, weiß er an sich zu halten und seine Unarten und auch seinen Zorn zu meistern, und für ein braves, liebenswürdiges Kind zu gelten. Ein einmal gegebenes Versprechen hält er gewissenhaft ein, doch ist er sehr vorlaut; er wiederholt gerne, was er von Freunden gehört hat und fügt mitunter, ohne gerade lügen zu wollen, Selbsterfundenes hinzu. Das ist sein Größter Fehler, den man ihm abgewöhnen muss. Im übrigen ist er, wie gesagt, ein gutes Kind: mit Liebe und ein wenig Energie, ohne allzu große Strenge kann man bei ihm alles erreiche. Doch Strenge reizt ihn: er zeigt für sein Alter bereits viel Festigkeit, So hat er sich zum Beispiel von seiner frühesten Kindheit an durch das Wort „Verzeihung“ verletzt gefühlt. Wenn er ein Unrecht begangen hat, tut und sagt er alles, was man von ihm verlangt, doch das Wort: „Verzeihen Sie“ bringt er nur unter strömenden Tränen und bitteren Schmerzen über die Lippen. Meine Kinder sind von Jugend auf im größten Vertrauen zu mir erzogen worden und müssen mir ihr Unrecht immer von selbst beichten. Wenn ich sie dann schelte, scheine ich eher bekümmert und über ihr Benehmen betrübt als erzürnt. Ich habe sie daran gewöhnt, mein Ja oder Nein für unwiderruflich zu halten, doch gebe ich ihnen dafür immer einen Grund an, den sie bereits verstehen können, damit sie nicht glauben, ich sei von übler Laune beeinflusst. Mein Sohn kann noch nicht lesen und lernt sehr schwer, doch hindert ihn hauptsächlich sein Leichtsinn am Fleiße. Von seiner hohen Geburt hat er keine Vorstellung, ich wünsche, dass dies so bleibt, unsere Kinder erfahren noch früh genug, wer sie sind. Seine Schwester liebt er sehr, denn er ist überhaupt gutherzig, und so oft ihm irgend etwas, sei es ein Spaziergang oder ein Geschenk, Freude macht, ist sein erstes Verlangen, daß seine Schwester ihr Teil davon erhalte. Er besitzt ein heiteres Gemüt, um seiner Gesundheit willen soll er möglichst viel an der Luft sein; nach meiner Ansicht lässt man ihn dabei am besten am Boden und auf den Terrassen arbeiten oder spielen, anstatt ihn weiter hinaus spazieren zu führen. Das umher laufen und spielen im Freien schlägt den kleinen Kindern viel besser an als das erzwungene Gehen, bei dem sie oft Seitenstechen bekommen.

Fortsetzung folgt