Unermüdlich auf der Jagd nach übelriechenden Miasmen*, führt Jean Noel Hallè* den Kampf der Desodorierung.
Drei Episoden aus seinem Alltag sollen uns als Einführung dienen.
Beginnen wir mit dem 14. Februar 1790. Seit dem Sturm auf die Bastille sind mehr als sechs Monate vergangen; der Schrecken hat sich gelegt. An diesem Tag steigt das Thermometer auf 4 Rèaumur; es herrscht Südost-Wind; am Pont de la Tournelle erreicht die Seine eine Wasserstand von fünf Fuß. Frühmorgens hat Jean-Noel Halle sich in Begleitung seines Freundes Boncerf auf den Weg gemacht, um die Gerüche an den Flussufern auszukundschaften oder, genauer gesagt, um sie mit prüfender Nase zu erreichen, Die beiden Gelehrten sind von Sociètè Royale de Medicine mit die Aufgabe betraut worden. Sie beginnen ihre Unternehmung am Pont Neuf, schreiten das rechte Ufer bis La Rapeè ab und überqueren den Fluß schräg gegenüber des Abwässerkanals der Salpetriere, um am linken Ufer zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren, Das gewissenhaft Protokoll über den mehr als zehn Kilometer langen Fußmarsch liefert ein genaues Bild von der Vielfalt der Gerüche, In dem ganzen Text findet sich kein einziger Hinweis auf etwas Sichtbares. Eine recht unbefriedigende Lektüre für den, der malerische Beschreibungen liebt: er wird sich weder am Geschwätz der Wäscherinnen noch am lauten Treiben der Schiffsauslader diesseits und jenseits der Seine ergötzen können. Nichts als Gerüche. Eine Wegbeschreibung mit ungewöhnlichen Unterbrechungen, die den langen Strecken der von Unrat bedeckten „Anschwemmzonen“ den Vorrang gegenüber allen nicht stinkenden Uferbereiche gibt, wo die Quais oder Häuser direkt ans Wasser angrenzen.
Eine derartige Riechvermessung ist nicht ungefährlich. Man muss sich hüten vor übertriebener Kühnheit. muss die notwendige Vorsicht bewahren. An der gefürchteten Mündung des Geoblins Zuflusses geht der Begleiter von Jean-Noel gegen den Wind am Wasser entlang und watet durch den schwarzen Schlamm.
„Monsieur Boncerf, der sich an dieser Stelle stärker den aus Südosten kommenden Wind gewandt hatte und ans Ufer hinabgestiegen war, wurde von einem beißenden, alkalischen, stechenden und stinkenden Geruch überwältigt, der ihm derart auf die Atemwege schlug, dass sein Hals binnen einer halben Stunde zu schmerzen begann und seine Zunge merklich anschwoll. Unter dem Eindruck dieser schädlichen Ausdünstung warnte er, ich möge sogleich zur Straße zurückkehren; da ich oben an der östlichen Spitze des von Anschwemmungen verseuchten Uferbereichs geblieben war, der Wind aus meiner Position heraus als von Hinten kam, habe ich nichts Unangenehmes verspürt.“
Doch dies sind nur harmlose Scharmützel; die Tage der großen Schlacht erweisen sich als ungleich dramatischer. Kehren mir zu einem Ereignis zurück, das acht Jahre früher stattgefunden hat.
Am. 23. März 1782 versammeln sich die größten Kapazitäten der Hygiene und der Chemie vor dem Hotel de la Grenade in der Rue de la Parcheminerie. Die Senkgrube soll gereinigt werden. Ihre tödlichen Ausdünstungen sind bekannt. Überdies versichert due Hauswirtin, dass die Medizinstudenten eimerweise Leichenreste und den Fäkalien verborgen haben Das Ausmaß der Gefahr ist gar nicht zu ermessen, Academie Royale des Sciennes hat die Gelehrten Lavoisier, Le Roy und Fougeroux an den Ort des Geschehens entsandt, während die Chemiker Marcquer und Fourcroy sowie der Herzog von La Rochefoucauld, der Abeè Tessier und Jean-Noel Halle im Auftrag der Societe Royale de Medecine gekommen sind. Sie alle sollen die Wirksamkeit eines neuen „antimefitischen“* Mittel testen, erfunden von Sieur Janin, der zu Behaupten wagt, daß sein Essig die üblen Gerüche zerstört und die Miasmen bindet.
Es ist ein kalter Tag, nur 2 Reaumur um die Mittagszeit; der Wind kommt von Norden; im Laufe des Vormittags hat es heftig geschneit. Kurz, die meteorologischen Bedingungen erscheinen günstig. Während Janin seinen Essig versprengt, klettern Jean-Noel Halle und der Abbeè Tessier die Leitern hinauf und hinunter, um die unterschiedliche Intensität des Gestanks zu messen. Stundenlang nimmt das zwischen acht und neun Uhr morgens begonnene Experiment einen ungestörten Verlauf. Dann, gegen fünfzehn Uhr, kommt es zu einer dramatischen Wende: einer der Kloakenfeger erleidet einen Erstickungsfall und rutscht ab. Unter größten Schwierigkeiten gelingt es ihn aus der Grube zu bergen.
Die Augenzeugen drängen sich um den Todgeweihten. Ein junger Mann versucht, ihn durch Wiederbelebungsversuche zu retten, aber ohne Erfolg. Nun schaltet sich ein Fachmann ein, Monsieur Verville, Inspektor einer Gesellschaft, die den seit einigen Jahren bei Kloakenentleerung verwendeten Ventilator herstellt. Doch hören wir, wie Jean-Noel Halle das Los des unglückseligen Verville beschreibt:
„Kaum hatte er die Luft geatmet, die dem Mund des Sterbenden entströmte, schrie er „ ich bin tot!“ und fiel ohnmächtig um (…). Ich sah, wie er unter äußersten Anstrengungen um Atem rang, wie er an den Armen gehalten wurde, während er sich brüllend aufbäumte; abwechselnd hoben und senkten sich Brust und Bauch in heftigen, krampfartigen Bewegungen. Er hatte das Bewusstsein verloren; Seine Extremitäten waren kalt; der Puls wurde immer schwächer (…). Manschmal füllte sich der Mund sogar mit Schaum, die Glieder wurden steif und der Kranke schin einem wahren epileptischen Anfall ausgesetzt …“
Zum Glück kommt Monsieur Verville – der, um es noch einmal zu sagen, nur den Odem eines Sterbenden geatmet hat wieder zu sich und kann nach Hause gehen.
Ein weiterer Bericht von Monsieur Halle handelt von verschiedenen, krankheitserregenden Gerüchen, die sich in ihrer Lieblingshölle, dem Hospital entfalten.
„Es gibt einen stinkenden Geruch, ähnlich dem, der von Kleidungsstücken ausgeht, und eine Fauligen Geruch, der weniger hervortritt, aber durch den allgemeinen Ekel, den er auslöst, unangenehmer ist als der erste. Ein dritter, den man Verwesungsgeruch nennen kann, läßt sich als eine Mischung aus Saurem, Fadem und Stinkendem beschreiben, die Zersetzung und ist der widerwärtigste und all den Gerüchen, die im Hospital anzutreffen sind. Ein weiterer Geruch, der in Nase und Augen stickt, kommt von der Unsauberkeit; man könnte meinen, die Luft enthielt etwas Pulverförmiges, und wenn man sich auf die Suche macht, findet man gewiss feuchte, verstockte Wäsche, einen Haufen Unrat oder von gärenden Miasmen verseuchte Betten und Kleider. Die verschiedenen den besonderen Geruch des Brandes, den des Krebserregers und den Pesthauch, der sich bei Knochenfraß verbreitet. Doch was die Ärzte durch Erfahrung über diesen Gegenstand lernen, kann jeder erproben, wenn er nur die unterschiedlichen Gerüche in den Krankensälen vergleicht. Bei den Kindern roch es sauer und stinkend; bei den Frauen süß und faulig; von den Schlafsälen der Männer dagegen geht ein starker, aber nur stinkender und daher längst nicht so abstoßender Geruch aus.
Obwohl mehr auf Sauberkeit geachtet wird als früher, herrscht in den Krankensälen der guten Armen von Bicetre ein fader Geruch, der den zarten Personen schwach ums Herze wird.
* Miasma: Bis zu Pasteurs Entdeckungen wurden außerhalb des Körpers gebildete Ansteckungsstoffe, inbesondere giftige Ausdünstungen des Bodens, als Miasmen bezeichnet.
*antimefitisch: Mittel, die den stinkenden, verpesteten Dünsten entgegenwirkten
*Die Berichte stammen von den berühmten französichen Arzt Jean Noel Halle geb in Paris 6. 1. 1754 gest. 11. 2. 1822 ebenda
24. März 2008
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